
Krieg gegen Rojava Seit dem 9. Oktober 2019 führt das NATO-Land
Türkei Krieg gegen Rojava. Die hochgerüstete
türkische Armee ist zusammen mit Banden syrischer Islamisten in die autonome Föderation Nordsyriens eingefallen. Wie ist Rojava entstanden und was führt die Türkei unter
"Sultan" Erdoğan im Schilde?
Wie Rojava entstand Im Verlauf des Bürgerkriegs gab die syrische
Regierung die Kontrolle über die seit tausenden von Jahren von vielen
verschiedenen Ethnien und Religionen bewohnten Regionen an der Nordgrenze auf –
vielerorts haben lokale kurdische Kräfte die Kontrolle übernommen. 2013
beschloss die "Partei der Demokratischen Union" (PYD) gemeinsam mit
weiteren Kleinparteien, im Norden Syriens eine Übergangsverwaltung
aufzustellen. 2016 rief die Versammlung kurdischer assyrisch-aramäischer,
arabischer und turkmenischer Delegierter die autonome Föderation Nordsyrien, Rojava, aus –
damals bestehend aus den Kantonen Efrîn (Afrin), Kobanê und Cizîrê. Rojava stand und steht für eine selbstverwaltete,
demokratische Gesellschaft, beruhend auf Geschlechtergerechtigkeit und einem religiösen
sowie politischen Pluralismus. Die türkische Regierung betrachtet Rojava von jeher als Gefahr und "terroristisch",
weil sie die kurdische Befreiungsbewegung im eigenen Land fürchtet.
2015 schien es, als könnten die von der Türkei heimlich unterstützten ultra-religiösen
Mörderbanden des "Islamischen Staats" (IS) die
Stadt Kobanê in
Rojava erobern. Doch es gelang den
Volksverteidigungseinheiten (YPG / YPJ), unterstützt durch die US-Luftwaffe,
den IS bei Kobanê zurückzudrängen. Ab August 2016 griffen die türkische
Armee und verbündete Milizen die syrische Grenzregion zwischen den Kantonen
Afrin und Kobanê immer
wieder an und verhinderten so, dass in Rojava ein
zusammenhängendes Gebiet entstehen konnte. Zusammen mit der US-Luftwaffe und
wenigen Spezialtruppen aus den USA und Frankreich konnte eine Koalition den IS
fast ganz aus der Region vertreiben.
Krieg und Kriegsverbrechen in Afrin Mitte Januar 2018 hat die Türkei einen lange befürchteten Angriff auf die Region Afrin
gestartet. Zu den mit modernsten schweren Waffen ausgerüsteten Truppen der
türkischen Armee gehören auch die mit ihr
verbündeten islamistischen Milizen (u.a. ehemalige Al-Qaida und
IS-Kämpfer). Die Angriffe richteten sich gegen die Volks- und
Frauenverteidigungseinheiten (YPG / YPJ), unter deren Schutz die mehrheitlich
von Kurd*innen bewohnte Region bis dahin vom Krieg
verschont blieb. Afrin wurde am 18. März 2018 von türkischen Truppen
eingenommen. Es kam zu zahlreichen Kriegsverbrechen: Systematische Plünderungen
durch pro-türkische Truppen, Vergewaltigungen, Exekutionen und Verstümmelungen
von kurdischen Gefangenen sowie Zwangs-Konvertierungen. Unzählige Häuser wurden
von verbündeten Islamisten besetzt.
Allein aus der Stadt Afrin mussten 250'000
Menschen fliehen. Über 100'000 Flüchtlinge aus dem Gebiet leben noch immer in
provisorischen Camps im Niemandsland zwischen Aleppo und Afrin in der
sogenannten "Shahba Region". Die humanitäre
Lage ist katastrophal.
Erdoğan will mehr Krieg Bereits im Dezember 2018 kündigte der türkische
Präsident Recep Tayyip Erdoğan
eine weitere Militäroffensive gegen die Selbstverwaltungsgebiete in Nordsyrien
an. Anfang Oktober 2019 erklärte die US-Regierung, sie ziehe ihre
Spezialtruppen aus der Region ab. Nur wenige Tage danach startete am 9. Oktober
2019 die türkische Invasion nach Nordsyrien. Trump hatte Erdoğan
in einem Telefonat grünes Licht für einen Einmarsch in die Region gegeben und
damit seine bisherigen Verbündeten im Kampf gegen den IS verraten. Bereits in
den ersten Tagen der Invasion kam es zu zahlreichen zivilen Opfern. In den
ersten 48 Stunden der türkischen Offensive sind laut UNO mehr als 100'000 Menschen
vertrieben worden.
Der IS freut sich, die Schweiz kuscht Erdoğan will eine so genannte
"Sicherheitszone" errichten, in welche er bis zu drei Millionen
syrische Flüchtlinge umsiedeln will. Für die Bevölkerung von Rojava würde dies wie
schon in Afrin Vertreibung, ethnische Säuberung, eine katastrophale humanitäre
Lage und zivile Opfer bedeuten.
Dem IS eröffnen sich mit der Invasion neue Möglichkeiten. Rund 11'000 IS-Kämpfer sind in Rojava
in Haft, darunter Tausende aus der EU und der Schweiz. Der Westen hat sich
geweigert, diese Verbrecher zurückzunehmen und überlässt das Problem Rojava. Justizministerin Karin Keller-Sutter sieht primär
eine Gefahr für die Bevölkerung in der Schweiz, sollten diese Personen
repatriiert werden. Der Angriff der türkischen Armee wird die bereits besiegten
Mordbanden des IS wieder stark machen. IS-Schläferzellen
verübten gleich zu Beginn der türkischen Angriffe erste Anschläge in der
Region. Und nach der Bombardierung von Gefängnissen konnten IS-Anhänger
ausbrechen.
In der Mitteilung vom 9. Oktober 2019 erwähnt
der Bundesrat die Türkei nicht mit einem Wort: "Die Schweiz ruft alle
Parteien auf, von Kampfhandlungen abzusehen und das humanitäre Völkerrecht zu respektieren." Schon im Februar hatte
die aussenpolitische Kommission des Ständerates einem
Freihandelsabkommen mit der Türkei zugestimmt. Dass diese
offen Völker-
und Menschenrechte mit Füssen tritt, scheint niemanden zu interessieren.
Zu gross ist offenbar die Angst, den türkischen
"Sultan" zu verärgern. Erdoğan droht seit
langem und erfolgreich damit, die Grenzen für syrische und afghanische
Kriegsflüchtlinge in Richtung Europa zu öffnen.
Update folgt in den
nächsten Tagen – bis dahin
Rojava Komitee - Bern
